Berlins Tagesspiegel about Berlinized 21.05.2012

Filmemacher Lucian Busse und die Musikerin Sofie Hein
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Freunde der Nacht. Kameramann Lucian Busse war in den 90ern stets mit seiner Videokamera in den unzähligen improvisierten Clubs

Eine Zeit, so unbeschreiblich wundervoll

In der Clubdoku „Berlinized – Sexy an Eis“ zeigen Lucian Busse und Sofie Hein die Partyszene der 90er.

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Ein Anruf brachte alles ins Rollen, Lucian Busse erhielt ihn vor drei Jahren. Am anderen Ende der Leitung war eine Frau, die er nach der Wende beim Feiern kennengelernt hatte. Ihr war eingefallen, dass er, Busse, in den 90er Jahren stets mit einer Videokamera im Berliner Nachtleben unterwegs gewesen war und dabei auch einen ihrer Tanzauftritte auf der Insel der Jugend in Treptow gefilmt hatte. Ob er das Video noch habe und ihr eine Kopie davon zukommen lassen könne, fragte die Frau. Also begab sich Lucian Busse in seinen Keller und kramte die Kisten hervor, in denen er die Kassetten von damals aufbewahrte, 150 waren es insgesamt. Beim Anschauen der alten Aufnahmen, beim Eintauchen in die eigene Vergangenheit kam ihm die Idee, aus dem Material eine Dokumentation über die damalige Zeit zu machen.

Wie aufwendig das sein würde, vermochte der gelernte Cutter und Kameramann zu diesem Zeitpunkt noch nicht abzuschätzen. Tatsächlich dauerte es Monate, um die Videos am Computer zu digitalisieren, einige Aufnahmen waren in der Zwischenzeit unwiederbringlich beschädigt. Und dann plagten Lucian Busse immer wieder Zweifel. Würde das Material wirklich eine Geschichte hergeben? Sofie Hein, eine langjährige Freundin und Wegbegleiterin, schob diese Bedenken beiseite und motivierte ihn, weiterzumachen. Mit Erfolg. „Berlinized – Sexy an Eis“ heißt der Film, der beim „Achtung Berlin“-Festival im April Premiere feierte und kommenden Donnerstag im Kino Zukunft am Ostkreuz zu sehen ist. Im Anschluss an die Vorführung gibt es noch ein Konzert von Sofie Hein alias Lucyhoneychurch, die den Soundtrack zum Film produziert hat und die Musik live mit Andrew Unruh von den Einstürzenden Neubauten aufführen wird.

Die Dokumentation ist „eine reflektive Zeitreise in das Berlin-Mitte der 90er Jahre“ geworden. Busse porträtiert die Anfänge von Berlins Clubkultur, die teils anarchischen Zustände, die Experimentierfreude und den Tatendrang ihrer einstigen Protagonisten. Zu Wort kommen unter anderem Jim Avignon, Musiker Captain Spacesex und Kim Suckle, Mitglied der Künstlergruppe Honeysuckle Company. Mit ihnen, seinen „Freunden der Nacht“, zog Busse einst durch die Stadt. Er begleitete sie zu Partys, Auftritten und gefakten Modenschauen. Immer dabei: seine Kamera, mit der er Material für seine eigene Videoshow „Alien TV“ sammelte, die er unter anderem im „Eimer“ in der Rosenthaler Straße zeigte. Um „Alien TV“ noch bekannter zu machen, mietete er einst sogar einen Truck für die Loveparade, Sofie Hein nähte ihm zur Verzierung des Lastwagens Aliens aus Stoffresten.

Den alten Aufnahmen setzt Lucian Busse in „Berlinized“ Bilder und Interviews von heute entgegen. So begleitet er etwa die Künstlerin Nina Rhode beim Spaziergang durch die Auguststraße, wo sie einst mit Freunden die „Bügel-Bar“ betrieben hatte, einen kleinen Laden, dekoriert mit in fluoreszierende Farbe getauchten Kleiderbügeln. Das Haus ist heute komplett saniert. Damals, erinnert sich Rhode, habe es keine Tür zur Straße gegeben, so dass die Gäste durch die Fenster einsteigen mussten. Das schmälerte nicht die Beliebtheit der Bar.

In einer anderen Szene sieht man einen Auftritt der Band Mina in der Galerie „Berlintokyo“. Betreiber Vredeber Albrecht war Mitte der 90er Jahre auf die Räume in den Hackeschen Höfen aufmerksam geworden und wollte hier einen Treffpunkt für Menschen schaffen, die sich für Kunst und Musik interessieren. Um dem Ganzen einen internationalen Touch zu verpassen, sollten abwechselnd deutsche und japanische Künstler ausstellen. In der Praxis scheiterte das aber daran, dass der Kontakt zu japanischen Künstlern fehlte. Also griffen die Betreiber und ihre Freunde einfach selbst zu Pinsel und Farbe und gaben sich asiatische Pseudonyme. Das Publikum störte sich daran nicht. Was vielleicht auch am „Sexy an Eis“ lag, einem Drink, dessen Rezeptur Vredeber Albrecht selbst 13 Jahre nach der Schließung der Galerie nicht verraten, den er aber selbst nie getrunken haben will. Immerhin ist der Drink so legendär, dass er nun den Untertitel zu Busses Film liefert.

„Diese Zeit, die wir da erlebt haben, war wirklich so unbeschreiblich wundervoll“, sagt Lucian Busse. 1987 zog der gebürtige Schwabe nach Berlin, mit nichts weiter als einer Tüte voller Anziehsachen und ein bisschen Geld. Pläne habe er damals keine gehabt, er habe sich einfach treiben lassen wollen, erzählt der 46-Jährige. Wahrscheinlich war dieses Sichtreibenlassen nie einfacher als nach dem Mauerfall, als die Hinterhöfe in Mitte noch grau und verfallen waren und Raum für absurde Ideen boten, bei denen es nicht ums Geldverdienen ging. Jim Avignon formuliert es im Film so: „Bis Ende der 90er gab es die Idee einer Karriere gar nicht.“

Er sei sehr glücklich, diese Zeit erlebt zu haben, sagt Lucian Busse. Aber zurück sehne er sich nach ihr nicht. „Ich lebe in der Gegenwart, das ist mein Prinzip.“ Ähnlich sieht das Sofie Hein, die Anfang der 90er Jahre nach Berlin kam, hier Psychologie studierte und nebenbei das Musikmachen für sich entdeckte. „Für mich ist es ein komplett entschwundenes Land“, sagt die 47-Jährige. Wenn sie heute an den Orten vorbeikommt, an denen sie früher mit Freunden gefeiert hat, empfinde sie gar nichts mehr. „Aber das ist auch in Ordnung, die Gegenwart ist eine andere.“ Sie habe nur lange gebraucht, um das zu verstehen.

Kino Zukunft, Laskerstraße 3, Friedrichshain. 24. Mai, 20 Uhr