BERLINIZED. SEXY AN EIS
Ein Film von Lucian Busse 24.12.2014
Der Künstler und Musiker Jim Avignon bringt es auf den Punkt: Wenn man das Gefühl hat, nicht nur selbst dauernostalgisch zu sein, sondern, viel schlimmer, einem das von außen, also von anderen, zugeschrieben wird, weil man ja eben zu einer bestimmten Zeit mal künstlerisch prägend war, wenn man oder das eigene Schaffen dadurch allmählich immer fester auf diese Zeit bezogen wird, obwohl die Erde sich bekanntlich weiter gedreht hat, dann ist es in der Tat Zeit, ausdrücklich weiter zu ziehen, neue Ufer zu entdecken. Avignon selbst hat das durch sein mehrfaches Verlieben in New York getan.
Und ist voran geschritten, ohne seine Geschichten zu verleugnen. Wieso auch? Hat er überhaupt nicht nötig. Avignon und mit ihm sehr viele Musikerinnen, Künstler, Journalisten und Kreative stehen für eine bestimmte Aufbruchsphase in der (neuen) Bundeshauptstadt Berlin. Wenn man also mit Berlinized − Sexy an Eis entspannt zurück schaut und damit hier per Filmdokumentation so etwas wie eine »filmed oral history« festhält, dann ist das von Regisseur Lucian Busse nicht nostalgisch gemeint oder inszeniert. Sondern es wird von der Produktionsseite und den hier vorgestellten Protagonisten nach den Ursprüngen dieser später vermarkteten armen Sexiness und sexy Armut geforscht und immer wieder belegt, dass deren Suche nach Neuem oftmals aus einer produktiven Naivität heraus geschah.
Mit 25 geht man mit Raum und Zeit eben anders um als mit 45. Die Twens und das Berlin der 1990er Jahre gehören unwiderruflich zusammen: Als erst die Mauer gefallen war und alles in den − aus westdeutscher Hipster-Perspektive − Osten strömte, da wurde klar, dass diese große Stadt Berlin zwischen neuem Deutschland und selbstorganisierter, irgendwie auch anarchistischer Clubkultur ein faszinierendes Janus-Gesicht erhalten sollte (so sie das nicht mit anderen Konnotationen immer schon hatte).
Von diesen neuen Räumen, in denen sich künstlerisch und freizeitmäßig eingerichtet wurde, in denen auch beides unaufhörlich zusammen fallen sollte, berichtet diese einfühlsame Dokumentation. Busse gelingt es, weder gefühlsduselig das früher immer grüner gewesene Gras abzufeiern, noch im Nachhinein despektierlich abzuwerten: ›Naja, damals, da waren wir jung und haben an den Quatsch geglaubt‹. Nein, Busse hat mit bewusst unspektakulären Vertreterinnen und Vertretern − und zwar zu gleichen Teilen − ausführlich und immer wieder gesprochen. Die Berliner Clubkunstkultur der 1990er Jahre zeichnete sich eben auch durch eine zumindest gefühlte Gleichberechtigung aus, und zwar vom Zapfhahn über das Kuratieren bis zur Bühne selbst. In Gespräch mit Jim Avignon, der Künstlergruppe Honey Suckle Company (SimGil, Kim Suckle und Ninja Pleasure), Hannes Romberg/Captain Space Sex, Vredeber Albrecht, dem Mitbegründer der Galerie berlintokyo oder Jan Edler vom Kunst & Technik ergibt sich eine Art Narration aus vielen Unter- und Seitengeschichten zu den jungen und unetablierten Club-, Musik- und Kunstszenen Berlins zwischen Trash, DJ-Kultur und elektronischen Experimenten in Sachen Musik und Medien.
Da gab es eben aus aller Herren Bundesländer zugereiste Ideengeber, die in Berlin die Möglichkeiten hatten, einfach selbst loszulegen und etwas neu aufzubauen, auch im Umbruch nach den kalt-kriegerischen, heroinigen 1970ern (Bowie, Pop) und 1980ern (Neubauten, Nick Cave, Crime & City Solution). Dass dieses dann später und vor allem heute geordneter und größer in Form von weniger chaotischen und spontanen Events wie den Großstadtstränden, Kunstclub- Parties oder Vermengungen aus Hoch- und Popkultur führte, macht den Wert der ursprünglichen Originalitäten nur um so deutlicher.
Und während sich die Billigfliegerund Druckbetankungs-Touris damit in homöopathischen Dosen anfreunden, sind mit Sicherheit schon längst woanders wieder Twens dabei neue innovative Welten zu basteln und zu bauen.
Berlinized − Sexy an Eis (nach einem selbst gemischten Drink in der Galerie berlintokyo benannt) wird von von Songs der Erwähnten plus einem Mina-Auftritt und eigens für den Film eingespielter Musik von Sofie Hein aka Lucyhoneychurch zwischen Techno, Indietronics, smoothem BigBeat und TripHop untermalt. Damit arbeitet der Film nicht nur unaufgeregt und charmant zwischen Originalaufnahmen und neuen Interviews, zudem sehr vielen wortlosen Stimmungen ein Stück Stadt- und Popkulturgeschichte auf, sondern vermittelt die bis in die späten 1990er und schichte auf, sondern vermittelt die bis in die späten 1990er und frühen 2000er Jahre stark und beständig zu spürende Stimmung unter bestimmten,miteinander vernetzten Leuten in Berlin auf. Für Zeitzeugen, die ja höchstselbst ebenso wie Jim Avignon eine Weiterentwicklung erfahren haben, darf aber auch mal eine kleine Sentimentalität erlaubt sein: Ich habe sofort einen alten Kitty Yo-Sampler aus dem Regal geholt und gehört und stehe wieder zwischen Diederichsen in der WMF-Reihe, mit Nikki Sudden, Emilio Winschetti oder Hugo Race an der verrauchten Theke des Ex’n’Pop, bei Rechenzentrum und Supercollider in der Volksbühne, »Grillabenden« in Mitte oder auf einer Party um einen rappenden Gonzales.
Heute wird der Pullover eben leger über die Schulter gehängt, Ärmel verschränkt vor der Brust. Damals war es die Clubwear. Die (guten) Menschen sind ja im Kern sie selbst geblieben.